ERFA-Tagung 2024: Der Bericht

Seniorinnen und Senioren im Verkehr unterstützen. Eine Aufgabe für die Gemeinden

Zur Themenwahl der Tagung 

 

Wenn man die Altersarbeit als Querschnittsaufgabe versteht, so gehören zu den vielen Aspekten auch der Verkehr und die Teilnahme der über 64-Jährigen am Verkehr – mit ihren Auswirkungen auf die Verkehrsplanung und die Verkehrssicherheit. Dem Thema widmete ProSenior Bern die diesjährige ERFA-Tagung, wo Fakten und Problemlösungsansätze aufgezeigt wurden. Eine Steigerung der Verkehrssicherheit von Seniorinnen und Senioren kommt nicht nur ihnen, sondern allen Alters- und Ansprechgruppen zugute. 

 

Für Referate und ausführliche Fragenbeantwortung waren eingeladen: 

  • als kantonale Vertreter Markus Haldemann, Chef Verkehr Kantonspolizei Bern und Markus Wyss, Kreisoberingenieur, Bau und Verkehrsdirektion Bern 
  • als Vertretung des öffentlichen Verkehrs Bernhard Adamek, Vizedirektor Verband öffentlicher Verkehr und Ursula Gertsch, Programmleiterin Mobilität im Alter bei rundum-mobil GmbH 
  • vom Schweizerischen Verkehrssicherheitsrat Vizepräsident und Grossrat Kurt Wenger. 

Der vorliegende Bericht ist eine thematische Zusammenstellung aller Referate. In der Pause und während des Apéros konnten sich Interessierte mit Virtual Reality-Lehrmethoden vertraut machen, die über kurz oder lang auch für die Förderung der Verkehrssicherheit eingesetzt werden.

 

 

Seniorinnen und Senioren im Verkehr – eine Gefahrenquelle? 

 

«Ältere Menschen verursachen mehr Unfälle als Junglenker» so lautete kürzlich eine süffige Schlagzeile. Die Aussage beruht aber auf einer statistischen Merkwürdigkeit: Zu den Junglenkern werden die 18- bis 24-Jährigen gerechnet, während die älteren Menschen ab 64 Jahren bis zu ihrem Tod eine einzige – und damit verzerrte Gruppe bilden. 

 

In den Referaten wurde bestätigt, dass die ältere Generation im Allgemeinen vorsichtig im Verkehr unterwegs ist. Die kognitiven und motorischen Fähigkeiten und 

die Fitness älterer Menschen sind sehr unterschiedlich, können aber mit zunehmendem Alter abnehmen. Dies wird von ihnen kompensiert 

  • durch einen flexiblen Umgang mit Mobilitätsbedürfnissen bis zum Verzicht, etwa beim Autofahren im Dunkeln 
  • durch die Wahl eines geeigneten Verkehrsmittels und geeigneter Routen und Uhrzeiten 
  • durch Anpassen des Fahr- und Gehverhaltens, was langsamer unterwegs sein bedeutet 
  • durch eine geringere Risikobereitschaft 
  • und durch eine generell verkehrsregelgetreue Einstellung. 

Hauptursachen von Seniorenunfällen sind Unaufmerksamkeit, Ablenkung und Vortrittsmissachtung sowie Unkenntnis geänderter Verkehrsregeln. Als weitere Unfallursache kommt dazu das vom gewohnten Velofahren stark abweichende Verhalten der E-Bikes (längerer Bremsweg, stärkere Bremswirkung). 

 

 

Bemühungen um eine optimale Gestaltung des Strassenraums 

 

Strassen, die durch Siedlungen führen, sind im Allgemeinen Kantonsstrassen. Leider gibt es keine spezifischen Normen, keine Studien und nur wenige Publikationen zum seniorengerechten Strassenbau. Wichtig ist, die Strassen als Strassenräume zu begreifen. Da in der Schweiz die Gebäude eng an den Strassenraum gebaut sind, ist der Handlungsspielraum für die Verkehrsgestaltung entsprechend eingeschränkt, wobei immer der Grundsatz der Koexistenz gilt: Die Bedürfnisse aller Verkehrsteilnehmenden und Anstösser sind gleichberechtigt. 

 

Der Sicherheit älterer Menschen am meisten förderlich sind 

  • die Vereinfachung der Strassen 
  • die Verlangsamung des Verkehrs 
  • baulich-organisatorische Massnahmen zur Sicherung von Fussgängerquerungen 
  • konzeptionelle Planungen mit direkten Wegnetzen und sicheren Strassenquerungen auf den Wunschlinien, verbunden mit einem dichten Haltestellennetz des öffentlichen Verkehrs. 

Der Kanton Bern strebt hindernisfreie Strassen an. Ideal sind folgende für die Verkehrsteilnehmenden leicht verständlichen konkreten Massnahmen zur Vereinfachung der Strassenanlagen: 

  • Kreisverkehrsplätze 
  • Lichtsignalanlagen bei Kreuzungen 
  • geschützte Abbiegehilfen auf Hauptstrassen (für Velos und Autos) 
  • Radstreifen 
  • vorgelagerte Haltebalken für Velos bei Lichtsignalanlagen inklusive «grün» für Velos 
  • Verlangsamung des Verkehrs 
  • Fussgängerstreifen, wenn genügend Sichtweiten auf den Warteraum (70 Meter) vorhanden sind und es eine genügend hohe Fussgängerfrequenz gibt 
  • Mittelinseln als Querungshilfe mit oder ohne Fussgängerstreifen auf Wunschlinien 
  • Trottoirüberfahrten bei der Einmündung von untergeordneten Strassen (Fussgänger haben Vortritt). 

 

Herausforderungen für einen sicheren und kundenfreundlichen öffentlichen Verkehr 

 

Das Positive vorweg: Nach der Corona-Baisse gibt es heute mehr Fahrgäste als vor 2020 und rund jede zweite Person hat ein Abonnement für den öffentlichen Verkehr. Dieser wird in der Schweiz als pünktlich, sauber und zuverlässig beurteilt, wozu auch der Taktfahrplan mit einem dichten Takt beiträgt. Die Qualitätsbeurteilung für Bahn, Bus und Haltestellen stieg in den letzten Jahren generell an. Sauberkeit und Kundeninformation wurden am tiefsten, aber immer noch als gut bis sehr gut bewertet. Aus Sicht der öffentlichen Hand als Besteller erfüllen rund 95 Prozent der Bus- und Bahnunternehmen die Erwartungen. Zudem wird der öffentliche Verkehr dank Energieeffizienz und geringem Raum- und Platzbedarf als Teil der Lösung in der Klimaproblematik wahrgenommen. Punkto Sicherheit weist der öffentliche Verkehr kaum Verletzte oder tödlich Verunfallte auf. 

 

Was muss besser werden? 

  • Der Anteil des öffentlichen am Gesamtverkehr stagniert mit knapp 30 Prozent. Eine Steigerung wird angestrebt mit Angeboten für Jugendliche und mit dem Einbezug der Arbeitgeberseite. 
  • Dazu kommt eine gezielte Ausrichtung auf den Freizeitverkehr, indem häufiges Umsteigen vermieden wird und Entlastungszüge anders als heute und mit anderen Halteorten geführt werden. Für den wachsenden Transportbedarf von Gepäck, Fahrrädern und Kinderwagen sind Wagen mit Multifunktionsabteilen geplant, die entsprechend dem Bedarf von Freizeit- und Berufsverkehr durch wenige Handgriffe leicht umgebaut werden können. 
  • Schliesslich sollte die Flexibilität des Busverkehrs besser genutzt werden mit wetterabhängigen Wanderbussen, Direktkursen zu Einkaufszentren und zu Sportveranstaltungen. 
  • Informationspannen wie gerade kürzlich unter dem Titel «Aufhebung der Mehrfahrtenkarten» müssen vermieden werden. Es muss gelten, dass bewährte Produkte erst dann ersetzt werden, wenn valable Alternativen für namhafte Kundengruppen vorliegen. 

 

Zusammenarbeit mit den Gemeinden 

 

Seniorinnen und Senioren im Verkehr zu unterstützen sei eine Aufgabe der Gemeinde, lautete der Titel der diesjährigen ERFA-Tagung. Ausnahmslos wurde klar, dass partizipative Prozesse mit den Gemeinden und ihren Interessensgruppen eine Selbstverständlichkeit geworden sind. Kantonspolizei und kantonales Tiefbauamt bieten den Gemeinden Analyse und Beratung für die Planung für eine verbesserte Verkehrssicherheit an. Dazu gehören auch Massnahmen fürs Wohlbefinden im Strassenraum, was allerdings ein eher neuer Planungsaspekt ist und intensiviert werden sollte. 

 

Die Branche des öffentlichen Verkehrs bietet vor allem für den urbanen Verkehr Prävention und einen Dialog über die Gestaltung der zunehmenden Mischnutzung der begrenzten Strassenräume an. 

 

In vielen Gemeinden fehlt das Wissen über die Mobilitätsbedürfnisse ihrer Bevölkerung. Sie sollten erfasst und die daraus fliessenden Ergebnisse in die Altersleitbilder und -politik einbezogen werden. 

 

Für die Sicherheit der Seniorinnen und Senioren im Verkehr werden zudem Kurse über neue Mobilitätsangebote und über die Gefahren als E-Bike-Fahrende empfohlen. 

 

 

Blick in die Zukunft 

 

Der Schweizerische Verkehrssicherheitsrat konnte berichten, dass er im Rahmen seiner Neuausrichtung vermehrt auf das Alter fokussiert. Er hat dafür beim Fonds für Verkehrssicherheit ein Gesuch eingereicht, um Unterstützung zur Mitfinanzierung eines regionalen Projekts «Fokusgruppe Seniorinnen und Senioren – Initiierung eines Dialogs zu den Risiken im Strassenverkehr» zu erlangen. Es wurde ein Vorgehen entwickelt, wie durch den Einsatz von Botschafterinnen und Botschafter der Bedarf älterer Verkehrsteilnehmenden eruiert werden kann. Nach Evaluation der gewonnenen Lehren könnte allenfalls für den Schweizerischen Verkehrssicherheitsrat ein landesweites Projekt folgen. 

 

Das Fazit von ProSenior Bern ist, dass Verkehrssicherheit für Seniorinnen und Senioren als Querschnittsaufgabe der Gemeinden verstanden werden. 

 

Studien sollten die fehlende Lücke zur Gestaltung des seniorengerechten Strassenraums schliessen. Prima vista wäre eine Zusammenarbeit mit der Fachhochschule denkbar und prüfenswert. In diesem Zusammenhang sollten in Statistiken die über 64-Jährigen nicht als eine einzige Altersgruppe erfasst werden, da dies ein falsches Bild gibt und differenzierte Massnahmen verunmöglicht. 

 

Gemeinden und Regionen sollten Gremien – beispielsweise Seniorenräte mit strategischen Aufgabenkatalogen – schaffen und sie mit der Interessensvertretung der älteren Bevölkerung beauftragen. Die Gemeinden haben zudem die Möglichkeit, Thematik und Erkenntnisse aus der Tagung in den Regionalkonferenzen zu bearbeiten. 

 

Jürg E. Bartlome

Ursula Zulauf

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